Wer sich für Mode interessiert, der sollte sich eigentlich auch für ihre Geschichte interessieren – für ihre Entwicklung, ihre Veränderung und für die Menschen, die diese Geschichte geschrieben haben. Wer hätte da nicht sofort die Namen großer französischer Couturiers im 20. Jahrhundert parat, Chanel, Balmain, Dior oder Yves Saint-Laurent.
Ohne Zweifel, Paris war und ist eine bedeutende Modemetropole. Was in Vergessenheit geriet – auch Berlin war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine bedeutende Modestadt. Es waren vor allem jüdische Konfektionäre rund um den Hausvogteiplatz, die damals die Modewelt in Deutschland inspirierten und mit ihren Modellen die Damen verzückten. Doch davon will in der wieder angesagten Modestadt Berlin heute keiner mehr etwas wissen, auch deren geistige Nachfolger nicht. Wie in so vielen Fällen, die jüdisch/deutsche Geschichte und Kultur wurde gründlich aus dem Bewußtsein getilgt. Daher ist es umso verdienstvoller, das ein Autor sich bereits zum zweiten Mal der Geschichte der Berliner Modeindustrie vor dem Nationalsozialismus in den 20er und 30er Jahren annimmt - Uwe Westphal. Nach seinem sorgfältig recherchierten Sachbuch „Berliner Konfektion und Mode“ aus dem Jahr 1986, hat der Sachbuchautor und Journalist Westphal nun mit „Ehrenfried & Cohn“ ein Romandebüt vorgelegt, das von der tragischen Geschichte der jüdischen Modemacher Berlins erzählt.
Im Zentrum stehen die beiden Modemacher, der kaufmännisch begabte Kurt Ehrenfried und sein Compagnon Simon Cohn, der kreative Kopf der gemeinsamen Firma. Die beiden Männer haben sehr unterschiedliche Charaktere. Ehrenfried gibt sich weltläufig, ein geschickter Geschäftsmann mit dem richtigen Gespür für das was die Damenwelt tragen will. Cohn hingegen versteht sich als genialer Modeschöpfer, ein eher verschlossener Typ mit homoerotischen Neigungen. Die beiden besuchen die großen Schauen in Paris, und Ehrenfried versteht es die weiblichen Journalisten zu umgarnen, damit sie ihm Bilder der Modelle überlassen, die Cohn dann geschickt als Vorlage für seinen Berliner Chic zu nutzen versteht. Mit von der Partie sind die Stoffhändler, die ihre internationale Ware auch auf den deutschen, den Berliner Markt bringen. Eine dieser geheimnisvollen und schillernden Figuren ist der Schweizer Rudi Berlau, genannt Rube. Ein Bonvivant, der es versteht, mit allem und jedem vertraut zu sein, Männern, Frauen, den jüdischen Konfektionären, die ihn mehr brauchen als schätzen und wie sich herausstellt auch mit den Nationalsozialisten, die immer mehr Einfluß nehmen. Schon einige der Kollegen Ehrenfrieds planen Deutschland zu verlassen, wie der Kollege Landauer, ein religiöser Mann mit einer großen Familie. Doch Ehrenfried glaubt trotz deutlicher Menetekel nicht daran, ihm könne etwas geschehen, was hat Mode mit Politik zu tun? Und überhaupt, er ist Jude, schon, aber er ist ganz Deutscher, fühlt sich dieser Kultur verbunden, als ein Teil von ihr, er hat nichts zu tun mit den hinterwäldlerischen Stetljuden, die einst aus dem Osten nach Berlin kamen. Schon 1810 hatten sich die ersten jüdischen Kaufleute in Berlin niedergelassen. Damals war es ihnen verboten neue Ware herzustellen, so handelten sie vorerst mit Altkleidern und begründeten die Modetradition in der Stadt. Als jedoch sein Vorarbeiter die Mitarbeiter aufhetzt und Ehrenfried mit frechen Drohungen und antisemitischen Beschimpfungen zusetzt, hofft der Konfektionär, er könne sich mit einer List dem Zugriff der Nazis entziehen. Er verspricht dem Vorabeiter eine großzügige Beteiligung an der Firma und läßt ihn als Compagnon eintragen. Ehrenfried glaubt so der Enteignung seiner Firma zu entgehen. Doch der Raubzug der Nationalsozialisten ist nicht aufzuhalten. Ehrenfried wird letztlich zum Verkauf gezwungen, zu einem lächerlichen Preis, damit er sich und seine Familie außer Landes in Sicherheit bringen kann. Doch bevor er geht, will er noch seinen großen Traum erfüllt sehen: Eine ganz neue Art der Modenschau, kurz vor den Olympischen Spielen, ein Spektakel, wie es die Modewelt noch nie sah. Doch dieser Plan wird scheitern und Ehrenfried kann sich grade noch retten, er zieht nach London, während sein Kompagnon Cohn ins damalige Palästina flieht.
Diese Geschichte ist leider keiner Fantasie entsprungen, sondern ein wenig beachtetes Kapitel der Mode in Deutschland. Einen Roman darüber zu schreiben wäre eine wunderbare Gelegenheit gewesen, diesen Teil der Geschichte Deutschlands dem Vergessen zu entreißen. Aber leider ist Uwe Westphal dies nicht wirklich gelungen. Die Figuren mit ihrem tragischen Schicksal bleiben seltsam leblos zwischen den Seiten hängen. Da wo die Empathie der Leser gefragt ist, bleibt man distanziert, teilnahmslos. Zwischen den Handlungssträngen, die weitgehend ohne Dialoge auskommen müssen, schiebt der Autor immer wieder sein enormes Hintergrundwissen ein, stört den Erzählfluß, als glaube er selbst nicht daran, dass seine Figuren überzeugen können. Westphal ist beseelt von seinem selbstgestellten Auftrag, die Vernichtung der jüdischen Konfektionäre und ihrer Firmen zu vermitteln, sie dem endgültigen Vergessen zu entreißen. Doch der Publizist ist kein Romancier, er ist ein Sammler, ein Aufspürer, einer der nicht loslässt, sich in eine Idee verbeißt, in diesem Fall in eine Geschichte die ihn nach eigenem Kundtun schon seit Jahrzehnten in Atem hält. Uwe Westphal ist ein fleißiger Dokumentarist, aber kein Erzähler. Wer wirklich erfahren will, welch schreckliches Schicksal die Berliner Konfektionäre erlitten, dem sei Uwe Westphals Buch: „Berliner Konfektion und Mode 1836-1939. Die Zerstörung einer Tradition“ ans Herz gelegt.
Zu bestellen:
Lichtig-Verlag, Berlin 2015
ISBN: 978-3-929905-33-5
Preis: EUR 18,00
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