Dieses Foto von Frantisek Dostal ist auf dem Deckel des Buches "Was ich den Juden schon immer mal sagen wollte ..." abgebildet. Der von Nea Weissberg-Bob herausgegebene Band vereint, ausgehend von der Möllemann-Debatte, Beiträge und Gespräche zum Antisemitismus in Deutschland. Neben zum Nachdenken anregenden Standpunkten sind auch Auszüge aus dem Internet-Forum des Fernsehsenders n-tv abgedruckt, die den offenen Antisemitismus ganz normaler Deutscher offenlegen. Das empfehlenswerte Buch ist 2002 im Berliner Lichtig-Verlag erschienen. (ISBN: 3-929905-16-7)
In den dahin plätschernden Bundestagswahlkampf 2002 platzte die selbst ernannte "politische Kampfmaschine" Jürgen W. Möllemann mit einem Flugblatt. Bei dessen Charakterisierung haben sich die Medien nach einer kurzen Phase der Irritation auf Begriffe wie "antiisraelisch" oder "israelkritisch" geeinigt. Eine bestenfalls unscharfe Bezeichnung.
In dem Flugblatt wird neben Israels Premier Ariel Scharon explizit der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, angegangen. Auf den ersten Blick schon seltsam, dass Möllemann zwei Juden herausgreift, um für sich persönlich und die FDP auf Stimmenfang im Bundestagswahlkampf zu gehen. In dem Flugblatt taucht Scharon lediglich als ein Mann auf, dessen Regierung "Panzer in Flüchtlingslager" der Palästinenser schicke und Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates missachte. Als dessen quasi verlängerter Arm in Deutschland wird Friedman dargestellt, der, ach wie verwerflich, "Scharon-Kritiker Jürgen W. Möllemann als ‚anti-israelisch' und ‚antisemitisch' abzustempeln" versuche. Das selbst ernannte Opfer der beiden Juden, Möllemann, dessen Konterfei gleichsam über den beiden schwebt, stilisiert sich in dem Faltblatt selbst zum Friedensengel, der sich von den "Attacken" Friedmans "unbeeindruckt ... weiterhin engagiert für eine Friedenslösung einsetzen wird". Darauf hat die Welt gewartet.
Was eigentlich hat Friedman mit Israel zu tun? Friedman ist deutscher Staatsbürger. Warum also sollte ein gegen ihn gerichtetes Flugblatt "antiisraelisch" sein? Wieso schrecken die Medien überwiegend davor zurück, Möllemanns Agieren als antisemitisch zu bezeichnen? Welche Wirkungen hat der vorgebliche "Tabubruch" von Möllemann?
"Man muss doch mal sagen dürfen, dass ..." fingen im Sommer nicht nur viele Sätze von Möllemann selbst sondern auch von FDP-Chef Guido Westerwelle an, die von vielen Bürgern offensichtlich erleichtert aufgegriffen wurden. Dahinter steht - 60 Jahre nach Auschwitz - der Wunsch, die historische Verantwortung abzuhaken. Deutschland total normal: Auch Deutsche müssten das Recht haben, die israelische Regierung zu kritisieren, heißt es. Was folgt, ist dann zumeist eine undifferenzierte Kritik an Israel wegen des Konflikts mit den Palästinensern. Israel erscheint als Aggressor und Punkt.
Wer hat jemals Kritik an Israel verboten? Das Bundesverfassungsgericht, die Medien oder gar der Zentralrat der Juden in Deutschland? Quatsch. In einer Stellungnahme vom 22. Mai 2002 unterstrich der Zentralrats-Präsident Paul Spiegel: "Kritik an der Politik der israelischen Regierung ist kein Sakrileg, wenn aber sachliche Argumente durch antisemitische Klischees ersetzt werden, dann ist die Grenze zum Antisemitismus überschritten." Genau dies hat Möllemann bewusst getan, in angeblichen "Tabubrüchen" inszeniert - mit seinem Flugblatt, aber auch vor- und nachher.
"Mal-sagen-dürfen"-Möllemann lehnt sich gegen ein Verbot auf, das es gar nicht gibt und öffnet damit vielen ein Ventil, endlich mal so richtig gegen Israel vom Leder zu ziehen. Schwer zu glauben, dass bei diesem Sich-Luft-Machen nicht in Wirklichkeit Jüdinnen und Juden gemeint sind. Ein Indiz dafür mag sein, dass sich Möllemann mit Friedman als Repräsentanten für die Juden und Jüdinnen in Deutschland einen streitbaren und umstrittenen Politiker und Fernsehmoderator ausgesucht hat. "Wer sich mit ihm im Fernsehen anlegt, wird zum Antisemiten erklärt", donnerte Möllemann. Da war doch was - gerade die angebliche jüdische Medienmacht wird seit jeher von Antisemiten als Eckpfeiler einer "zionistischen Weltverschwörung" ausgemacht. Geschmeidig gleiten viele Deutsche von ihrem Volksversteher derart angespornt zum nächsten Satz: "Ich habe nichts gegen Juden, aber...".
Möllemann inszeniert einen angeblichen "Tabubruch", um diese Haltung in Wählerstimmen umzumünzen - eine Methode, die von allen Rechtspopulisten in der EU von Haider in Österreich bis Le Pen in Frankreich erprobt wurde. Er ernennt sich selbst zum "Sprachrohr des Volkes". Während der Affäre um Jamal Karsli verwies Möllemann ein ums andere Mal darauf, wie viel Zustimmung er für seinen Kurs auf der Homepage bekommen habe. Tatsächlich fand sich auf der inzwischen deaktivierten Homepage des Politikers antisemitische Hetze in Reinkultur. Kein Grund für Möllemann, sich nicht dennoch mit Stolz auf die große Unterstützung zu berufen, die von diesem Morast ausging.
Er geriert sich als unbeugsamer Oppositioneller, der dem angeblichen Mainstream widersteht und auch unliebsame Wahrheiten offen ausspricht. Bei seinen vielen persönlichen Begegnungen "mit Menschen aus dem ganzen Volk in ganz Deutschland" erhalte er viel Zuspruch zu seiner Haltung. Schon warnt er die "politische Klasse", die "Kluft zwischen sich und den Menschen in ihrem Volk immer größer" werden zu lassen. Möllemann baut einen Gegensatz auf, zwischen den "Menschen im ganzen Volk", als dessen Sprecher er sich gebärdet, und den deutschen Jüdinnen und Juden, für die Friedman als Zentralrats-Vizepräsident steht. Damit knüpft er nahtlos an die Unterscheidung in Arier und Nicht-Arier an.
Hat Möllemanns "Flyer" die FDP wirklich Stimmen gekostet? Im Möllemann-Kernland, in Nordrhein-Westfalen, wo der Fallschirmspringer bei den Landtagswahlen sein Flugblatt an acht Millionen Haushalte verteilen ließ, errang die FDP mit 9,3 Prozent der Stimmen zwei Prozent mehr als noch 1998. Durchaus lässt sich schlussfolgern, dass da, wo der Kurs Möllemanns konsequent durchgezogen wurde, die Partei erfolgreich war. Der FDP-Haudegen schielt auf die 30 Prozent der Bevölkerung, die aktuellen Umfragen zufolge antisemitische Ressentiments pflegen.
Das Flugblatt war keinesfalls der Anfang der Kette antisemitischer Angriffe. Vielmehr griff der FDP-Mann bereits Mitte 2001 den Zentralrat der Juden an, der sich in Zeitungsanzeigen gegen den Besuch des syrischen Diktators Bashir Al Assad gewandt hatte. Dieser hatte zuvor die Israelis als schlimmere Rassisten als die Nazis bezeichnet. Möllemann sprang Assad umgehend bei. Scharon gefährde den Nahost-Friedensprozess "gewiss mehr als Präsident Assad", tönte er.
Im August 2001 warf Möllemann, seit mehr als zehn Jahren Chef der deutsch-arabischen Gesellschaft, der israelischen Regierung "Staatsterrorismus" vor, der durch nichts zu rechtfertigen sei. Kein Wort davon, dass Israel und seine Bürger konfrontiert sind mit alltäglichem Terror und Selbstmordkommandos. Stattdessen wird dem Land implizit das selbstverständliche Recht abgesprochen, sich zu wehren und seine Bürger zu schützen. Im April 2002 sagte Möllemann in Identifikation mit zu Selbstmordattentaten bereiten Islamisten, dass er, wenn er unter Besatzung leben würde, sich dagegen auch zur Wehr setzen würde, und das auch "im Land der Besatzer". Dass Selbstmordattentate von jedem demokratischen Rechtsstaat dieser Erde bekämpft würden, kommt in dieser Äußerung genauso wenig vor, wie die bedrohte Sicherheit des UN-Mitgliedes Israel.
Einen vorläufigen Höhepunkt in der so bezeichneten Antisemitismus-Debatte wurde im Mai mit Möllemanns Vorwurf an Friedman erreicht, kaum jemand verschaffe den Antisemiten mehr Zulauf, als Israels Premier Ariel Scharon und in Deutschland Michel Friedman "mit seiner intoleranten und gehässigen Art". Aufgenommen wird damit ein uraltes antisemitisches Klischee, das da lautet, "die Juden" seien selbst schuld am Judenhass. Laut ZDF-Politbarometer schlossen sich 28 Prozent der befragten Wählerinnen und Wähler dieser Position an. Der "aggressiv-arrogante" Ton, den Möllemann bei Friedman ausmacht, knüpft an das antisemitisch tradierte Bild vom angeblich "frechen Juden" an. Was erdreistet sich Friedman, so lautet der ungeheuerliche Subtext, seine eigene Meinung in Deutschland selbstbewusst zu vertreten?
Ausgangspunkt der Angriffe Möllemanns auf Friedman waren Äußerungen des damals noch den Grünen angehörenden Landtagsabgeordneten Jamal Karsli. Der hatte Israel Nazi-Methoden vorgeworfen und war dennoch in die FDP-Fraktion aufgenommen worden.
Den Nationalsozialismus auf diese Weise zu verharmlosen, ist beliebt in Deutschland, wie ähnliche Äußerungen, etwa von Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU), belegen. Beseelt von dem Wunsch nach Entlastung von der deutschen Vergangenheit werden die jüdischen Nazi-Opfer und ihre Nachkommen zu im den Neunazis der Gegenwart gestempelt. Der israelische Psychoanalytiker Zvi Rex drückte das einmal so aus: "Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen."
Erst nach massiver Kritik sah sich Möllemann gezwungen zu sagen, es sei ein "Fehler" gewesen, Friedman für die Entstehung von antisemitischen Ressentiments mitverantwortlich zu machen. Was für einen Fehler er meinte und eine Entschuldigung bei Friedman blieb Möllemann aber schuldig. Vielmehr tönte er: "Vor Friedman werde ich nicht kriechen." Wie heroisch.
Und Westerwelle? Nahm seinen Vize erst ständig in Schutz, wiederholte die "Man-muss-doch-mal-Scharon-kritisieren-dürfen"-Sätze, forderte eine Diskussion darüber, "was ein deutscher Politiker zu Israel sagen darf und was nicht". Die FDP-Spitze verabschiedete eine schwachbrüstige "Berliner Erklärung", in der Missbilligung und Bedauern darüber ausgedrückt wird, "dass durch Äußerungen von Jürgen W. Möllemann Anlass für Missverständnisse entstanden ist". Missverständnisse? Wie viel Westerwelle von dem Flugblatt wusste, ist bis heute ungeklärt.
Möllemann ist der erste etablierte Politiker, der zumindest aus Machtkalkül offensiv antisemitische Klischees bedient - nicht als bekennender Judenhasser, sondern indem er, wie in seinem Flyer vermerkt, "beharrlich" für eine "Friedenslösung" im Nahen Osten eintritt. Bei dem vorgeblichen Bemühen um den Frieden im Nahen Osten geht es Möllemann in Wahrheit darum, Israel als Staat der Juden anzugreifen. Tragendes Ziel ist es, eine zumindest latent verhandene Stimmung aufzugreifen und daraus Kredit etwa bei Wahlen zu schlagen. Viele Deutsche machen begeistert mit.
Zum Beispiel FDP-Parlamentarier. Die FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag beließ Möllemann Anfang Februar in ihren Reihen. Aus der Bundestagsfraktion wurde er zwar wenig später ausgeschlossen. Im Mittelpunkt der diskutierten Gründe stand aber keineswegs der antisemitische Boden, den Möllemann für sein "Projekt 18" bereitet hat, sondern vor allem die dubiose Finanzierung des Flugblattes und der daraus resultierende Schaden für die Partei.
Möllemann würde nach eigener Auskunft gern in der "liberalen Familie" bleiben. Wenn er aber verstoßen werde, dann, ja dann, ist eine Partei-Neugründung nicht auszuschließen. "18 - Die Freiheitlichen" soll angeblich die Partei heißen, die Möllemann zu gründen gedenkt, falls die FDP ihn rausschmeißt. Übrigens: Der Flyer ist inzwischen für vier bis zwölf Euro bei Internetauktionen wie "ebay" zu bekommen. Alles total normal.