Gedanken zum Verstehen von Beate Niemann, die
ihre Erinnerung und Auseinandersetzung mit ihrem Vater, dem Nazitäter Bruno
Sattler, Mitglied eines Sonderkommandos der EG B, dem "Vorkommando Moskau",
anhand von Bergers Publikation verarbeitet.
Der Versuch, ein Wiederaufleben jüdischen Lebens in Polen zu wagen und kurze
Zeit scheinbar erfolgreich zu sein, erscheint heute wie ein Märchen. Gabriel
Berger schreibt und beschreibt das Zeitgeschehen in Polen in der Zeit von
1945 – 1949 mit einem respekteinflößenden Detailwissen, mit belegten und
aufgeführten Daten und Fakten, an denen es nichts zu deuteln gibt. Das gilt
auch für seine eindringlichen Beschreibungen einzelner Personen. Ihr Mut,
ihre Vorstellungen eines Neubeginns jüdischen Lebens in einem Land, in dem
die ersten jüdischen Ansiedlungen bereits im 11. Jahrhundert nachgewiesen
sind, zu wagen, ihr Scheitern zu erfahren, macht mich (die Rezensentin, Anm.
der Red.) traurig und wütend zugleich.
Gabriel Berger zitiert zwei Meldungen der
Einsatzgruppe B vom Juli 1941: "Polen in den neu besetzten Gebieten
bei ´Selbstreinigungsprozessen´ einzusetzen" und "es hat sich gezeigt, dass
der polnische Teil der Bevölkerung die Durchführung der Aktion der Sipo
(Sicherheitspolizei) durch Hinweise auf russische, jüdische, aber auch auf
polnische Bolschewisten unterstützt." Ab September 1941 war mein Vater Bruno
Sattler Mitglied eines Sonderkommandos der EG B, dem "Vorkommando Moskau".
Die Mordaktionen dieses kleinen, aus sechs bis acht deutschen "Spezialisten"
bestehenden Kommandos und ihren lokalen "Hilfswilligen" wurden in den
14-tägigen Einsatzberichten gesondert ausgewiesen.
Zur Verdeutlichung der Dimension der
Mordaktionen: Als Teil der kämpfenden Verwaltung zog Arthur
Nebe im Sommer 1941 als Chef der EG B hinter der Heeresgruppe Mitte her.
Innerhalb von vier Monaten ermordete seine EG mehr als 45.000 Menschen".
Zitat nach Zimmermann, Rassenutopie und Genozid, S. 269 f.
Mit meinem
Wissen über die Massenmorde der Deutschen an Juden, Roma, sogenannten
Partisanen, Kranken, unliebsamen Personen, "sog, lebensunwerten" Menschen,
ganzer Dorfgemeinschaften, habe ich mir nicht vorstellen können, dass die
wenigen jüdischen Überlebenden den Versuch wagten, sich in Polen noch einmal
anzusiedeln.
Das Buch zwingt durch seine Genauigkeit und
Beweislast zu sorgfältigem Lesen, um die Geschichte verstehen zu können. Für
mich ist Gabriel Bergers Buch ein wichtiger Teil der Grundlagenforschung
über Polen nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Es erscheint in einer Zeit, in
der in Polen die Uhren rückwärts gestellt werden. Die Leiterin des
Polnischen Kulturinstituts Katarzyna Wielga-Skolimowska wird
entlassen, weil sie "zu viele jüdische Themen und zu wenig stolze polnische"
in ihrem Programm hat. Das im Bau befindliche Museum des Zweiten Weltkrieges
in Danzig wird inhaltlich verändert, Polen und seine polnischen Bürger und
Bürgerinnen werden jetzt als Menschen ohne Fehl und Tadel dargestellt,
sollen heroisiert werden. Das Museum soll das Leid der Polen zeigen, das
jüdische Leid kommt nicht mehr vor.
Das Buch fängt da an wo das
Leben meines Vaters als Nazitäter aufhört. Er floh am 9. Mai 1945 bei Linz
über die Grenze nach Deutschland, nicht mehr der SS-Sturmbannführer sondern
ein Mann in Zivil mit sechs verschiedenen Ausweispapieren. Es hat ihm nichts
genutzt. Von 1947 bis zu seinem Tod 1972 war er in Gefängnissen der
sowjetischen Macht inhaftiert, ab 1949 in DDR Gefängnissen. Er war einer der
wenigen aus der dritten, vierten Reihe der Mörder, der tatsächlich mit
lebenslanger Haftstrafe für seine Verbrechen büßte.
In meinem neuen Buch "Ich
lasse das Vergessen nicht zu", Lichtig Verlag, Berlin, 2017, beschreibe
ich meinen Weg durch die Nachkriegsgeschichte Deutschlands bis heute und
warum ich das Vergessen nicht zulassen kann. Auch Gabriel Bergers Buch ist
ein Beweis dafür, wie notwendig es ist, sich zu erinnern.
AVIVA-Tipp: Es ist eine längst verspätete Diskussion über die
lästige historische Wahrheit, die Gabriel Berger mit seinem Buch "Umgeben
von Hass und Mitgefühl" entzaubert. Der Heldenmythos der widerständigen
Polen, der seine jüdischen Bürger geschützt hat, fällt mit jeder Seite des
Buches auseinander.
Zum Autor: Gabriel Berger, geboren 1944 in Valence,
Frankreich. Zwischen 1945 bis 1977 Aufenthalte in Belgne, Polen, DDR, BRD.
1981 -83 Philosophiestudium an der TU Berlin und journalistische Tätigkeit,
später IT-Trainer Autor. 2015 Beiträge im Buch "Beidseits von Auschwitz";
Lichtig Verlag Berlin.
Mehr Infos unter:
www.gabriel-berger.de
Zu bestellen:
Lichtig-Verlag, Berlin 2016
ISBN: 978-3-929905-36-6
200 Seiten
Preis: EUR 14,90 + Versandkosten
Zu beziehen über den
Lichtig-Verlag oder den Buchhandel.
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